Ade, Gemeinschaftsschule
21.07.2011
Neues Deutschland
Von Marcus Meier
Schwarz-rot-grüner Schulkompromiss in NRW: Wie weit hat die CDU sich durchgesetzt?
SPD, Grüne und CDU haben sich auf einen Schulkompromiss geeinigt, der allerdings durchaus Raum für Interpretationen lässt.
Zwischen SPD und Grünen – sie stellen die Minderheitsregierung – und der oppositionellen CDU herrschte im Landtag gestern große Eintracht. Nur in einem Punkt waren die Redner sich uneinig: War es bloß »ein guter«, eher »ein schöner«, gar »ein freudiger« und zudem »ein historischer« Tag für Nordrhein-Westfalen? Allerdings verlief bei der Kombination dieser Phrasenfragmente die Grenze durch die und nicht zwischen den drei Fraktionen. Die hatten eigens ihre Chefs in die Bütt geschickt – und nicht, wie in der lange vorgesehenen Debatte eigentlich geplant, bloß die Fachpolitiker. Der Grund für die gute Laune, die die üblichen Demarkationslinien überschritt: Der vorgestern überraschend vorgestellte »Schulkompromiss« der drei ungleichen Partner (siehe Kasten).
Geheimverhandlungen als demokratische Tugend
Jahrzehnte lang hatten sich zunächst SPD und CDU befehdet, mit der FDP und später den Grünen in den Nebenrollen. »Die Sozis« wollten »Bildungskolchosen« etablieren, wetterten Christdemokraten in den späten 1960er-Jahren. 1978 verhinderte eine Koalition aus CDU, Kirche und den weniger fortschrittlichen Eltern und Lehrern eine grundlegende sozial-liberale Reform. Durch »Stop Koop!«, den einzigen erfolgreichen Volksentscheid in der Landesgeschichte, wurde die Koop-Schule, eine Gesamtschule light, auf den Müllhaufen der Geschichte befördert.
Danach köchelte der Konflikt weiter, immer wieder loderten die Flammen auf. Und nun das: »Wir sind uns einig, die seit Jahrzehnten mit großer Heftigkeit geführte Debatte über die richtige Schulform zu beenden«, verkündete Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD, vorgestern Abend apodiktisch. »Wir haben für NRW einen Schulfrieden für die kommenden zwölf Jahre beschlossen.«
Wochenlang hatten sich die geheimen Verhandlungen hingezogen, Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Sigrid Beer zeigte sich gestern begeistert, weil davon kaum etwas nach draußen drang – ganz so, als wären Verschwiegenheit und der Verzicht auf Öffentlichkeit demokratische Tugenden. Selbst FDP- und Linksfraktion erfuhren erst aus den Medien vom Kompromiss. Da rauchten die Friedenspfeifen noch.
Eines ist klar: Von der im Wahlkampf und im Koalitionsvertrag versprochenen Gemeinschaftsschule ist plötzlich keine Rede mehr. Doch wie eindeutig ist der schwarz-rot-grüne Kompromiss ansonsten? Gestern gab es im Landtag Diskussionen über den Charakter der beschlossenen Sekundarschule: Wird es ein »Alleinstellungsmerkmal« des Gymnasiums bleiben, »Studierfähigkeit« herzustellen, wie CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann zufrieden feststellte? Oder hat Laumann da das Kompromisspapier nicht richtig gelesen, wie die LINKE-Bildungspolitikerin Gundhild Böth unkte?
Die schwarz-rot-grünen Leitlinien lassen hier in der Tat Interpretationsspielraum. Auch manch andere Formulierung wirkt wie mit heißer Nadel gestrickt – und so legte gestern mancher Redner manches anders aus als mancher seiner Vorredner.
CDU durfte mal wieder mitspielen
Die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann verwies derweil auf die positiven Reaktionen von Eltern und Medien, von Gewerkschaften und Kapitalvertretern. Auch die CDU war zufrieden: Allein die Tatsache, dass sie bei solch einer wichtigen Entscheidung mal wieder mit im Boot saß, steigerte die Laune ihrer zuletzt arg gebeutelten Kapitäne. Möglicherweise hatte sie sogar das Ruder in der Hand: Dass »eine grüne Bildungsministerin eine CDU-Schulreform durchzieht«, beklagt die den Grünen nahe stehende »taz«. »Kein Abi für den Pöbel«, fasst das Blatt den Inhalt des Konsenses sarkastisch zusammen.
Bis zum Ende der Sommerpause soll nun ein Gesetzentwurf entstehen. Einig waren sich die Konsenspartner, künftig wieder uneinig zu sein: Nach dem (scheinbaren?) Durchbruch bei der Schulform geht es künftig um die Inhalte der Schulpolitik – und dabei wohl hoch her.
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